Mittwoch, 9. November 2016

„Es gibt keinen Grund Leggings zu tragen!"



Mit ihren 91 Jahren hat Inge Kempski schon so einiges erlebt. Ein Gespräch über die Dekaden der Mode, über die Entwicklung ihres eigenen Stils bis hin zu ihrer Bedeutung der Mode von damals und heute. 





Mädchen vergnügen sich an Mutters Kleiderschrank und fangen an, sich für Mode zu interessieren  – Wie war das damals bei Dir?

Mit Puppen wollte ich nie spielen! Außer mit meinem kleinen Bruder, der war nämlich neun Jahre jünger und wahrscheinlich auch mein Puppenersatz. 1935 waren die Ansprüche noch nicht so hoch. Aber natürlich war ich fasziniert von schönen Kleidern, wenn ich welche gesehen habe.


Wo hast Du diese gesehen? Etwa in Modemagazinen?

Nein, zu dieser Zeit gab es zwar Modemagazine, aber das war in Deutschland noch nicht weit verbreitet. Ich war zehn Jahre alt und hatte eine Freundin, die wirklich zu jedem Anlass ein Kleid von ihrem Hausschneider angefertigt bekam. Eines davon war ein Samtkleid, mit Knöpfen verziert, knöchellang und in Stahlblau. Sie sah in diesem Kleid wie eine Prinzessin aus. Ich habe solange gebettelt, bis ich schließlich ein Samtkleid in Weinrot, mit kleinen Knöpfen bezogen, das bis zum Boden reichte, an Heiligabend bekam.


Gab es denn keine Geschäfte, die so ähnliche Kleider verkauften ?

Doch. Es gab natürlich Boutiquen, aber die Kinderkleidung war zu dieser Zeit sehr eintönig. So extravagante Kleider, wie es sie heute gibt, gab es nicht. Im Sommer wie im Winter liefen Mädchen in wadenlangen Röcken herum.


Nach dem Zweiten Weltkrieg dachte erst mal niemand an die Mode, oder?


Auf jeden Fall. Im Krieg arbeitete ich in einer Waffenfabrik, dort musste ich jeden Tag das Gleiche tragen. Nach dem Krieg hatte ich nur noch zwei Kleidungsstücke und fing gerade bei einer Nachrichtenagentur an. Plötzlich fiel ein Name in den Raum, der bei den Frauen - unter anderem auch bei mir - eine totale Euphorie auslöste. Christian Dior, mit seinem New Look: Wespentaille und Glockenröcke, die Frauen zeigten endlich wieder ihre weiblichen Kurven. Ich hatte zwar keins von Christian Dior, aber von irgendeiner Boutique, welche den New Look adaptierte.


Aus welchem Jahr stammt dieses Foto? 


Aus dem Jahr 1946. Man fing an, das Leben allmählich zu genießen, auch wenn man von Null anfangen musste. Wie dem auch sei, in den 40er Jahren galt das als Norm vor der Kamera zu posen. Der Fotograf zeigte verschiedene Posen, diese setzte ich um. Nun wenn ich ehrlich bin, würde ich heute wahrscheinlich denken, was macht die denn da?


Von wo hast Du dir deine Inspiration geholt?

Meist aus den Schaufenstern. Lodenfrey fand ich besonders schön. Ich war noch nie ein Fan von Modemagazinen. Außerdem war mein Mann beruflich viel auf Reisen, vor allem in Amerika und gerade in den 50er Jahren waren Kaufhäuser sowie Konfektion was ganz Neues. 


Er flog nach Amerika und kaufte dir dort Kleider? 


Ja genau, er ging in die Kaufhäuser und probierte für mich die Kleider an. Auch sehr zum Vergnügen der Verkäuferinnen. Die Kleider saßen spitze. Mein Mann war zu dieser Zeit noch schlank. Wir hatten etwa die gleiche Statur. Es war immer wieder eine Überraschung. Manchmal war es ein Treffer und manchmal ging es auch ziemlich daneben. 


Gibt es etwas, was Du seit den 40ern bis heute immer noch trägst?

Naja, meine Kleider eher weniger. Aber eines trage ich bis heute noch und das jeden Tag: Meinen roten Chanel Lippenstift.


Hattest Du Modevorbilder?

Nein, das brauchte ich nie. Aber Audrey Hepburn war echt klasse! Wirklich hübsch und immer adrett gekleidet. 



Mode bedeutet für Dich?

Individueller Stil – vielleicht ein wenig exzentrisch, sportlich aber auch elegant. Ich wollte nie dem Trend folgen, aber wenn etwas nett aussah, landete es in meinem Kleiderschrank. So auch in den 60ern, als man plötzlich Miniröcke und kurze Hosen trug. Ebenso hatte ich in den 60ern zum ersten Mal richtig kurze Haare. Natürlich musste ich mich in den letzten Jahren anpassen. Oberarme und Beine werden mit der Zeit nun mal nicht schöner, kurze Röckchen sind also nicht mehr drin. Heute trage ich sehr gerne Rollkragenpullover – meiner Meinung nach zeitlos, schick und sportlich. 




Und was hältst Du von der heutigen Mode?   

Also nebenbei muss ich sagen, dass ich diese Onlinebestellung richtig praktisch finde – hätte es das nur schon zu meiner Zeit gegeben! Andererseits, dieses Handy, dieses ständig in Kontakt sein und dieses virtuelle Leben, einfach nur schrecklich – und ich finde es gibt keinen Grund, Leggings oder knappe Höschen zu tragen, wenn man zu dicke Beine dafür hat. Das kann man niemanden zumuten, damals wäre das nie vorgekommen. Desweiteren halte ich nichts von diesen Trends, denn nicht jedem steht etwas, was vielleicht gerade Trend ist. Man soll sich selbst finden und wohl fühlen und dabei vor allem in den Spiegel schauen. Und zu guter letzt, nun wir haben schon lange Diskussionen über löchrige Jeans geführt aber warum zum Henker, kauft sich die Jugend für teures Geld kaputte Hosen?

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Inge Kempski, gebürtig Balven, wurde 1926 in Köln geboren. Nach dem Abitur arbeitete sie während des Zweiten Weltkriegs in einer Waffenfabrik. Danach landete sie in Bad Nauheim, bekam bei einer Nachrichtenagentur einen Job und lernte dort ihren Mann kennen. Seit den 1940ern lebt sie in München. Inge Kempski ist Mutter von zwei Kindern und stolze Oma von vier Enkelkindern.

Text: Anja Kempski Bild: Inge Kempski




4 Kommentare:

  1. Interessantes Interview mit schönen Bildern – ein aktuelles Foto von Frau Kempski wäre noch spannend gewesen :)

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  2. Danke Amelie :) - nur leider wollte meine Omi kein aktuelles Foto von sich machen lassen.

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  3. Liebe Anja,
    super schöner Beitrag! Vor allem die Fotos finde ich in dem Zusammenhang total interessant.

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